Montag, 25. April 2011

Radtour auf dem Mond



Das Niemandsland zwischen Bolivien und Chile war ein einziges Gefälle. Kaum hatte ich im spektakulär gelegenen Grenzhäuschen Boliviens meinen Ausreisestempel in den Pass bekommen wurde ich einem Bus zugewiesen, der mich zu der Wüstenoase San Pedro de Atacama bringen sollte. Rechts flankiert von dem landschaftsüberragenden und schneebepuderten Vulkan Licancabur und links mit Aussicht auf die Unendlichkeit der Atacamawüste fuhren wir dann kurz darauf mehr als 2000 Höhenmeter hinab zum endgültigen Ziel meiner 3-tägigen Odyssee. Der rasende Abstieg von den Anden, dauerte insgesamt weniger als eine Stunde und wir mussten zwischendurch sogar anhalten, um die Bremsbeläge zu schonen, derart steil ging es wüstenwärts.

So grandios die Abfahrt durch das Niemandsland war, so anstrengend war schließlich der eigentliche Grenzübertritt nach Chile. Ein gefühltes Jahrtausend dauerte es, bis die Beamten unseren Bus, alle darin Reisenden und das Gepäck bis ins letzte Atom zerlegt und erfolglos nach verboten eingeführten Lebens- und Rauschmitteln untersucht hatten. Erdrückend dabei war vor allem die plötzlich vorhandene Hitze, die mit jedem verlorenen Höhenmeter rasch und ungewohnt angestiegen war und uns alle "kalt" erwischte. Seit Lima war es nicht mehr so hitzig gewesen auf meiner Reise und in meinen ersten Atacama Stunden hatte ich meine liebe Mühe, mich an diesen radikalen Temperaturwechsel zu gewöhnen. Der Akklimatisierung nicht sonderlich zuträglich war außerdem die atemstockende Trockenheit dieser Gegend und der Staub, der förmlich in der Luft stand.

Doch all diese Umstände konnten über eines nicht hinwegtäuschen. Mit dem Eintritt nach Chile war ich zweifelsohne wieder angekommen in der Zivilisation. Die ersten wagen Anzeichen dafür zeigten sich bereits auf den ersten Metern in Form von erkennbaren Mittelstreifen und ordentlichen Straßenschildern, welche frisch asphaltierte und schlaglochfreie Straßen säumten. Um einiges schockierender und auffälliger dagegen waren die Anzeichen, die San Pedro de Atacama ausstrahlte, denn dieses staubige Flecklein Gottes Erde war unfassbar übervölkert von Touristen. Mir war es ein ausgesprochenes Rätsel, wie all die Sonnenbrillen- und Kaki-Hemdenträger dort hingelangt waren, aber fest stand, sie waren da.

Gerade einmal 5000 Einwohner zählt das offensichtlich sehr beliebte Ziel für Wüsten Touristen aus aller Welt, und vermutlich liege ich nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt wenn ich behaupte, dass jeder einzelne von diesen Einwohnern entweder in einem Hotel, einem Restaurant oder bei einem Tourenanbieter arbeitet. Nach all meinen Reisekilometern durch das vergleichsweise wenig erschlossene Bolivien tat ich mir zugegebenermaßen etwas schwer und war irritiert durch die ungewohnten Touristenmassen. Doch die kommerzielle Ausrichtung des Ortes hatte auch etwas Gutes: Es gab endlich Gelegenheit zum Wäsche waschen. Ich war absurd dreckig und es war allerhöchste Zeit, dass die wenigen noch in meinem Besitz verbliebenen T-Shirts - mein Bestand hatte in den letzten Wochen auf ominöse Art und Weise eine dramatische Dezimierung erfahren - wieder einmal einem reinigenden Waschgang ausgesetzt wurden.

Dies geschah gerade noch rechtzeitig vor dem geplanten Treffen mit Vanja, einer Freundin von zuhause, die sich angekündigt hatte, zeitgleich mit mir durch Chile zu reisen. Nach wochenlanger e-mail Korrespondenz hatten wir es nun tatsächlich geschafft, uns tatsächlich zu verabreden, und zwar hier in der Atacamawüste. In Lenor-frischer Garderobe holte ich sie und ihre holländische Reisekameradin am nächsten Tag vom Busbahnhof ab. Wir feierten ein freudiges Wiedersehen und verbrachten den Tag über viel Zeit mit dem Austausch erlebter Reisegeschichten, dem neuesten Klatsch und Tratsch von zuhause sowie heißen Tips und Tricks für die Weiterreise. Auch wenn es etwas eigenartig und nur schwer einzusortieren war, nach so langer Zeit und so weit weg von zuhause, ein bekanntes Gesicht zu treffen, so war es doch schön, wieder einmal ein Stück Heimat nahe zu wissen.



Der nächste Tag fühlte sich an nach Tatendrang. Ich lieh mir von einem der unzähligen Anbieter ein Mountainbike aus und machte mich auf zum 20 Kilometer entfernten, landschaftlichen Höhepunkt der Region, dem "Valle de la Luna" (Tal des Mondes). Das im Regenschatten der Anden gelegene Tal gilt als einer der trockensten Orte der Erde überhaupt. Hier gibt es Wetterstationen, die in ihrer Geschichte nicht einen einzigen Tropfen Niederschlag aufgezeichnet haben!
Dem entsprechend fühlte sich auch nach wenigen Kilometern mein Mund an. Ich konnte noch so viel Wasser trinken, der Dauerdurst wollte nicht vergehen. Die Lippen waren längst aufgeplatzt und meine Zähne knirschten permanent auf Sandstaub. Doch all dies konnte in keiner Weise meine Begeisterung für diese unwirkliche Gegend gefährden. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, sich einsam und mit sandigem Wind im Haar durch diese bizarre Landschaft zu bewegen. Nicht umsonst trägt das Tal seinen Namen. Denn ringsherum erhoben sich die skurrilsten Gesteinsformationen und eine eindrucksvolle Palette von Farben und Formen ließen den Untergrund wie die Oberfläche eines fremden Planeten erscheinen. Alles in allem, fühlte es sich wahrhaftig so an, als würde ich hier über den Mond radeln.

Nachdem ich das Tal einmal komplett durchquert hatte wartete zum krönenden Abschluss ein atemberaubender Sonnenuntergang auf der großen Düne. Da etliche Tourenanbieter dieses Ereignis ebenfalls in ihrem Programm hatten, war es dort um die Einsamkeit zwar geschehen, dafür traf ich aber noch einmal Vanja, die zusammen mit zwei anderen Mädels einen ereignisreichen Tourentag verbracht hatte und ebenfalls gekommen war, um das Verschwinden des großen Feuerballs zu beobachten. Dieser tauchte mit seinem Untergang die gesamte Umgebung in ein intensives und durchdringendes rot, so dass sich der Mond allmählich eher in eine Marslandschaft verwandelte.

Ob Mond oder Mars, bei einbrechender Dunkelheit kehrten wir mit unseren Raketen aus dem All zurück in die Stadt, wo wir gemeinsam zu Abend aßen, bis spät in die Nacht Gespräche führten und uns dann voneinander verabschieden mussten, da es für mich früh am nächsten Morgen schon wieder weiter ging auf die nächste Etappe meiner Reise: eine 24 Stunden Busfahrt durch die Atacama Wüste nach Santiago de Chile.


Fun Facts:
  • Die Atacamawüste ist etwa 15 Millionen Jahre alt und gilt als die trockenste Wüste der Erde. Im Durchschnitt fällt hier nur etwa 1/50 der Regenmenge, die im Death Valley in den USA gemessen wird.
  • Speziell das Valle de la Luna ("Tal des Mondes") gilt als einer der trockensten Orte der Erde überhaupt. In dieser Gegend gibt es Wetterstationen, die in ihrer Geschichte nicht einen einzigen Tropfen Niederschlag aufgezeichnet haben.
  • Wegen seiner lebensfeindlichen Umgebung wurden im Valle de la Luna von der NASA unter anderem die Prototypen des Mars Rover getestet.
  • Die reichen Nitratvorkommen der Atacamawüste waren Auslöser für den Salpeterkrieg (1879-1884). Chile gewann den Krieg gegen Bolivien und Peru mit britischer Unterstützung und konnte dadurch nach Norden hin sein Land erweitern.
  • In Sichtweite von San Pedro de Atacama befindet sich der 5920 m hohe Lincancabur Vulkan. In dessen Krater liegt der höchstgelegene See der Erde.

Checklist:
  • Rad gefahren auf dem Mond
  • Sonnenuntergang beobachtet auf einer Düne in der trockensten Wüste der Erde

Dienstag, 12. April 2011

Abenteuer Allrad Teil 2: Flamingos und Geysire



Die Nacht war dramatisch. Der Himmel kippte sich förmlich über uns aus und es regnete unablässig. Als ob sich in dieser Nacht ein neuer Ozean dazu entschloss hatte, in Entstehung zu geraten, schüttete es aus allen Wolken und wollte gar nicht mehr aufhören. Da stieß selbst unser solides Salzhotel an die Grenzen seiner Schutzwirkung und der Regen bahnte sich in den frühen Morgenstunden allmählich und tröpfchenweise seinen Weg bis in unsere Schlafräume. Es wurde ungemütlich. Viel Zeit zum nass werden blieb dennoch nicht, denn bereits um 6:30 Uhr wurden wir zum Frühstück geweckt - schließlich stand uns ein langer Tag auf Rädern bevor.

Der erste Blick nach draußen verriet, was der Tag aber vor allem werden sollte: Abenteuerlich! Es stellte sich heraus, dass das gesamte Altiplano, das wir an diesem Vormittag durchqueren sollten überschwemmt und aufgeweicht war in Schlamm und Matsch. Wir machten uns bereit für eine wahrhaftige Allrad-Ralley. Die Fahrer der anderen Jeeps, die auch in unserem "Salzhotel" übernachtet hatten, beschlossen alle gemeinsam im Convoy zu fahren, um sich im Falle von Problemen gegenseitig aus der Patsche helfen zu können. Ein weiser Beschluss, wie sich später herausstellen sollte.

Nachdem sich unsere lustige Truppe in den Jeep gequetscht hatte, das Gepäck auf dem Dach verstaut war und Clown Louis mit seinen brasilianischen Gackerhühnern wieder das Bordentertainment an sich gerissen und allerbeste frühmorgendliche Laune versprüht hatte, ging sie los, unsere wilde Fahrt nach Chile.

Um es vorweg zu nehmen, dieser Off-Road Tag war landschaftlich mit das Spektakulärste was ich je gesehen habe. Dass man irgendwo auf der Erde innerhalb nur eines einzigen Tages derart vielseitige und abwechslungsreiche Eindrücke aufsammeln kann, kannte ich bisher nur von der Südinsel Neuseelands. Dort wie hier, wartet hinter jeder Kurve und hinter jedem Berg ein neues, überwältigendes Panorama auf den vorbeiziehenden Betrachter. Absolut faszinierend.

Doch der Reihe nach. Los ging die Ralley wie gesagt in der völlig überschwemmten Ebene. Die nächtliche Sintflut hatte die sonst angeblich gut passierbare Fläche in einen riesigen Schlammsee verwandelt. Ich war ernsthaft der Ansicht, dass ein Durchkommen unmöglich sei. Doch ich wurde eines Besseren belehrt - zumindest teilweise. Denn das Wunder Allrad schafft wirklich Unglaubliches. Mir war es ein absolutes Rätsel, wie wir uns tatsächlich vorwärts bewegen konnten in diesem Schlam(m)assel. Doch ganz offensichtlich ging es. Wie in einem Amphibienfahrzeug schaukelten wir stundenlang durch den braunen Mansch während seitlich von uns die Fontänen weg spritzten. Doch irgendwann kam, was kommen musste. Wir steckten fest. Glücklicherweise fuhren wir im Convoy und Hilfe war nah. Mit vereinten Kräften und einem furiosem Rückwärtsgang wurde der Karren wieder aus dem Dreck gezogen - im wahrsten Sinne des Wortes.

Gegen Mittag waren wir aus dem Gröbsten raus und die Schlammpartie fand mit zunehmendem Gewinn an Höhe allmählich ihr Ende. Wir waren nun in einer hügeligen, kargen und felsigen Steppe unterwegs, an deren Horizont sich majestätisch und grandios die schneebedeckten Vulkane abzeichneten. So sanft und anmutig die Landschaft auch war, so rauh und unbarmherzig war der Untergrund auf dem wir fuhren. Abermals hatte ich allergrößten Respekt vor den Ingenieursleistungen der Allrad Autobauer. Über schuhkartongroße, kantige Felsbrocken schmetterte unser Jeep hinweg als seien es kleine Kieselsteine - wie gesagt, mir war das alles ein Rätsel. Immerhin konnte ein Plattfuß mein Weltbild diesbezüglich wieder teilweise herstellen.

Der Höhepunkt des Tages kam farbenfroh zur Mittagszeit. Im rosa Gewand und auf Stelzen präsentierten sich uns ganze Heeresscharen von Flamingos. Überraschenderweise bevölkern die geselligen Watvögeln, die ich zuvor eigentlich ausschließlich mit Florida assoziert hatte, auch das bolivianischen Hochland, welches mit seinen fantastischen Bergen und den grün und rot gefärbten Seen eine wahrlich würdige Kulisse lieferte für den eleganten Auftritt der stolz stöckelnden Vögel.

Nach dem Essen gewannen wir weiter an Höhe, durchquerten bizarre Felslandschaften und vereinzelt sogar Schneefelder, bevor wir am frühen Abend unsere luftige Herberge für die Nacht erreichten. Es war bitterkalt. Die Kälte schlich durch alle Räume und wir froren wie junge Schlosshunde. Immerhin gab es als Vorspeise für das Abendessen eine duftige Gemüsesuppe. Ich hätte mich am liebsten reingelegt. Auch die Tatsache, dass ich nach bewährtem Zwiebelschichten-Modell sämtliche Klamotten trug, die in meinem Besitz waren, änderte nichts daran, dass ich die klirrend kalte Nacht über mit den Zähnen klapperte. Und so war auch der Weckdienst um 4:30 Uhr überflüssig, weil wir ohnehin schon alle wach lagen und die nächsten beiden Stunden herbeisehnten.

Diese führten uns zwar noch einmal weiter in die Höhe, endeten dafür aber an dem Geysirfeld "Sol de Mañana." Die dampfenden und fauchenden Fugen, dieser vulkanisch hochaktiven Gegend waren ein guter Anfang um die Körperkerntemperatur wieder etwas anzuheben. Die eigentliche Frosterlösung fanden wir dann aber pünktlich zum Sonnenaufgang in den auf 5000 Meter (!) hoch gelegenen heißen Quellen. Eine kochende Stunde lang lag unser gesamter Convoy in dem heißen Vulkanwasser und jede Minute davon war ein Hochgenuss. Erst als jede einzelne Zelle meines Körpers vollständig aufgeglüht war, verließ ich die ungewöhnliche Badewanne und fiel über das Pfannkuchenfrühstück her, das unsere gute Fee in der Zwischenzeit auf der Rückbank des Jeeps zubereitet hatte.

Hier trennten sich unsere Wege. Während der Rest meiner Jeep-Crew wieder zurück nach Uyuni fuhr ging meine Reise von nun an wieder alleine weiter. Denn die Grenze nach Chile war nur noch einen Steinwurf entfernt. Mit neuer Wärme und Energie im Blut verabschiedete ich mich von gewonnenen Freunden und machte mich auf in Richtung Atacama Wüste.


Fun Facts:
  • Die meist gespielten Lieder im bolivianischen Radio während der drei-tägigen Jeep Tour waren Whitney Houstons "My heart will go on" und Chris de Burghs "Lady in Red."
  • Die "Laguna Verde" des Nationalparks (Reserva Nacional de Fauna Andina Eduardo Abaroa) ist wegen ihrem hohen Anteil an kupferhaltigen Sedimenten grün gefärbt. Die rote Färbung der "Laguna Colorada" kommt von der dort vorherrschenden Algenart und vom hohen Mineralstoffgehalt seines Wassers.

Checklist:
  • in Schlamm versunken
  • Flamingos gesehen
  • auf 5000 Meter bei Sonnenaufgang in heißen Quellen gebadet
  • Geysirdampf geatmet
  • in Schneeballschlacht gekämpft
  • gefroren