Mittwoch, 16. März 2011

Abenteuer Allrad Teil 1 - Salzwüsten und Säulenkakteen



Lächerliche 7 Stunden sollte die heutige Busfahrt nach Uyuni dauern, absolut keine Herausforderung für mein erprobtes Sitzfleisch. Ich stellte mich also auf einen vergleichsweise entspannten Ritt durch das bolivianische Hochland ein und war froh gelaunt. Letzteres vor allem weil ich mit dem heutigen Tagesziel den Ausgangspunkt für ein weiteren und lang herbeigesehnten Höhepunkt meiner Reise erreichen sollte: Die Salzwüste von Uyuni.

Schon vor Jahren stolperte ich über faszinierende Bilder von diesem Ort und mir war damals schon sonnenklar, dass ich dort einmal hinreisen würde. Nun war es so weit. Ich war gespannt wie ein Bogen und fragte mich, ob die Gegend wirklich so magisch sein würde wie ich sie mir immer ausgemalt hatte? Nur sieben mickrige Stündchen lagen zwischen mir und der Antwort und ich war mir fast sicher, dass ich sie noch heute bekommen würde. Doch wie so oft wenn man sich einer Sache zu sicher ist, kommt es anders, als man denkt. Um eine viereinhalb Stunden lange Geschichte kurz zu machen: wir steckten fest. Ein LKW war direkt vor uns an einem unglücklichen, steilen Straßenengpass zum Erliegen gekommen und blockierte die Fahrbahn. Es folgten zähe Stunden und erfolglose Versuche den Laster zu reparieren, ihn abzuschleppen, etc.. Mit Fabio, meinem Leidensgenossen und Freund gewordenen Sitznachbarn vertrieb ich mir die Zeit mit Dosenwerfen auf einem nahe gelegenen Schutthaufen und stellte mich bei der hereinbrechenden Dunkelheit allmählich auf eine Übernachtung im Bus ein.

Doch plötzlich kam Bewegung ins Spiel. Der Fahrer des ersten Buses im Stau der Gegenfahrbahn fasste sich ein Herz und versuchte sein Gefährt an dem LKW vorbei zu manövrieren. Millimeterarbeit. Nach 10 Minuten war es tatsächlich geschafft! Dem mutigen Beispiel folgten andere. Auch unser Fahrer war schließlich überzeugt davon, dass die enge Passage entgegen aller Erwartungen doch zu überwinden sei. Wir alle mussten zu Fuß die Stelle passieren und drückten die Daumen, dass alles gut gehen würde. Dies tat es. Wir stiegen ein, fuhren weiter und kamen mit üppig Verspätung nachts in Uyuni an. Dort wurde mir wieder einmal klar, warum die Ankunft in einer fremden Stadt bei Tageslicht stets der nächtlichen Ankunft zu bevorzugen sei. Der Ort erinnerte an eine Geisterstadt im Wilden Westen. Ein staubiger Wind wehte die rollenden Steppenläuferbüsche durch die verlassenen und dunklen Straßen mit ihren noch dunkleren Gestalten. Alles war etwas unheimlich. Ich war froh, dass es Fabio an meiner Seite gab, als wir uns auf die Suche machten nach einer Bleibe. Schließlich fanden wir eine Herberge, die zwar genau so verlassen schien, wie der Rest der Stadt, uns aber immerhin einen Raum mit vier Wänden und einer abschließbaren Tür bot.

Der nächste Morgen zeigte dagegen ein komplett entgegengesetztes Bild. Alles schien wie ausgetauscht. Draußen auf der Straße sprudelte das geschäftige Marktleben, die Sonne strahlte und um den überschaubaren Kern der kleinen Stadt tummelten sich jede Menge Rucksackreisender. Sie alle waren hier, in der selben Mission wie wir: Das Allrad Abenteuer nach Chile! Denn die einzige Möglichkeit, um von dieser abgeschiedenen Gegend nach Chile zu gelangen war per Jeep. Die Touren der meisten Anbieter dauerten drei Tage, so auch die Tour, in die Fabio und ich uns einbuchten. Sie sollte noch am selben Tag beginnen!

Um 11 Uhr saßen wir im Jeep. Neben unserem Fahrer Gustavo und seiner Frau Bibi, die für unser leibliches Wohl sorgte, waren noch vier weitere Backpacker an Bord. Dylan aus Denver und meine Wenigkeit lagen in der Nationenaufstellung eindeutig in der Unterzahl gegenüber der brasilianischen Fraktion: Fabio, Luis, Betha und Maura. In anderen Worten: in den folgenden Tagen durften wir eine sehr heitere, laute, temperamentvolle und unterhaltsame Zeit auf dicht gedrängten Rückbänken erleben. Good times!

Die Fahrt ging los und was nur 30 Kilometer später folgte ist in Worte kaum zu fassen. Wir erreichten den Salzsee "Salar de Uyuni", mit 160 Kilometern Länge und 130 Kilometern Breite, die größte Salzfläche der Erde. Meine hohen Erwartungen an diesen Ort konnten nur schwer übertroffen werden, doch die Fahrt durch diese grenzenlose und endlose weite, weiße Fläche mit ihrem Himmel, der von einer einzigartigen Strahlkraft blau durchleuchtetet war vermochte dies zu tun. Es raubte mir den Atem. Ich war wie hypnotisiert von dieser weltfremden Atmosphäre und musste mir immer wieder klar machen, dass dies alles echt war und ich mich nicht durch einen Traum bewegte, dem Himmel so nah!



Wie musste sich Neil Armstrong gefühlt haben, bei seinem ersten Schritt auf dem Mond? Ich glaube der Antwort auf diese Frage etwas näher gekommen zu sein, als wir nach einstündiger Fahrt zum ersten Mal aus dem Jeep ausstiegen und eintraten in eine andere Welt. Als könnte man dem Untergrund nicht recht trauen, tasteten wir uns die ersten Meter über die krustige und harte Öberfläche. Es dauerte jedoch nicht lange bis unsere ganze fröhliche Besatzung anfing zu toben, zu rennen zu hopsen und zu tanzen. Und natürlich wollte keiner hier weggehen, bevor er nicht eine unverdaulich riesige Menge der obligatorischen Sprungfotos im Kasten hatte.

Am Mittag erreichten wir die Insel Incahuasi. Bereits am fernen Horizont konnte man die flimmernde Silhouette ihrer schroffen Felsbrocken erkennen, die unwirklich und skurril aus der Salzkruste herausbrach. Die unumstrittenen Helden dieser Insel sind jedoch die bis zu 20 Meter hohen und teilweise mehr als 1200 Jahre alten Säulenkakteen, wahre Lebenskünstler, die sich wie ruhige Wächter über ihre lebensfeindlichen Umgebung erhoben. In ihrer Gesellschaft aßen wir zu Mittag, bevor wir unseren Westweg durch die weiße Wüste weiterführten.

Pünktlich zum Sonnenuntergang kamen wir schließlich am Ufer des Sees an und waren nicht mehr weit entfernt von unserem Nachtlager. Das so genannte "Salzhotel" war ein bestes Beispiel dafür, wie auch die Menschen es verstanden, sich an ihre Umgebung anzupassen. Es bestand ausschließlich aus Salz: Mauern aus Salz, die Betten aus Salz, Tische, Stühle - alles aus Salz. Die schlichten Zimmer boten Raum für knapp 30 Betten. Nach und nach trudelten dann weitere Jeeps ein, vollgepackt mit interessanten Menschen. Alle versammelten sich am Ende eines langen und überwältigenden Tages in dem salzigen Gemeinschaftsraum und es wurde bis spät in die Nacht gemeinsam gegessen, gespielt und gelacht.


Fun Facts:
  • Wasser ist ein rares Gut in Uyuni. In der Jugendherberge bezahlt man pro 5 Minuten duschen umgerechnet einen Dollar. Die Einhaltung der Duschzeit wird überwacht von dem Herbergspersonal.
  • Der Salar de Uyuni ist mit 10.000 km der größte Salzsee der Welt. Seine Salzkruste hat eine Dicke von 2 - 7 Metern.
  • Die Salzmenge des Salar de Uyuni wird auf 10 Milliarden Tonnen geschätzt, davon werden etwa 25.000 Tonnen pro Jahr abgebaut. Auch ein riesiges Vorkommen an wertvollem Lithium wird hier vermutet und könnte dem ärmsten Land Südamerikas bald einen kostbaren Exportrohstoff liefern.

Checklist:
  • nackt in der Salzwüste gestanden (Fotos gibt es auf dem Diavortrag;)
  • in einem Salzhotel übernachtet
  • an 1000-jähriger Kaktee gepiekst

Mittwoch, 2. März 2011

Dynamit Shopping



Potosi schockt! Sie ist eine Stadt der Rekorde. Auf 4090 Meter Höhe und in einer kargen und steppenartigen Landschaft gelegen, gilt die im Jahre 1545 gegründete Bergbausiedlung Potosi als die höchstgelegene Stadt der Welt. Es mag im Himalaya vielleicht noch ein paar Dörfer und Städtchen geben, die höher liegen, aber mit 170.000 Einwohnern ist Potosi wohl die nennenswerteste aller höchstgelegenen Städte. Im frühen 17. Jahrhundert war sie sogar eine der größten und bedeutungsvollsten Metropolen der damaligen Zeit, vergleichbar mit Paris oder London. Dies verdankte die Stadt einzig und alleine dem Cerro Rico, dem "reichen Berg" mit seinen nahezu unerschöpflichen Silbervorkommen. Schon die Inkas ließen hier einst Silber fördern. Zur Blütezeit des Spanischen Kolonialreichs war der Berg die Hauptquelle des spanischen Silbers. Den Preis für diesen Reichtum zahlten mehr als 8 Millionen Menschen, die in den Minen des Cerro Rico den Tod fanden, zum größten Teil Indianer, die die katastrophalen Arbeitsbedingungen in dieser Höhe nicht überlebten - ein trauriger Rekord.

Auch heute noch ist der Berg die Lebensgrundlage der Region. Nach wie vor fördern hier Bergabeiter mühsam Silber und Zink zutage, in der Hoffnung, sich und ihren Familien ein karges Einkommen zu sichern. Ich wusste bereits aus Erzählungen von anderen Mitreisenden, dass es möglich war, die Minen des Cerro Rico zu "besichtigen", dass ich aber darauf achten solle den richtigen Touranbieter zu wählen. Abgesehen von den Sicherheitsaspekten wurde mir vor allem eines ans Herz gelegt: einen Anbieter zu finden, der seinen Profit mit den Minenarbeitern teilt und nicht alles für sich behält. Mit "Koala TOurs" hatte ich schließlich ein solches Angebot gefunden und ich wurde nicht enttäuscht. Mit 5 Mann waren wir eine sehr angenehme, kleine Gruppe und unser Guide einst selbst ein Minenarbeiter, der genau wusste was er tat und wovon er sprach. Trotz der durchaus abschreckenden Verzichtserklärung, die wir anfangs alle zu unterschreiben hatten, fühlte ich mich in guten Händen. Und das war wichtig! Denn was in den nächsten 3 Stunden folgen sollte war alles andere als ein spaßiges Unterfangen.

Zunächst wurden wir alle in eine Bergwerksmontur gesteckt: Helm, Stirnlampe, Overall, Mundschutz, Gummistiefel, alles, was eben dazu gehört. Zugegebenermaßen fand ich es anfangs etwas affig, damit herumzulaufen, doch wie sich später herausstellen sollte, hatte jedes einzelne Teil dieser Rüstung seine mehr als relevante Daseinsberechtigung, und am Ende des Tages hätte ich auch keines davon missen wollen. In einer kurzen Einführung lernten wir, dass seit der großen Silberinflation, in dessen Folge unzählige Minenangestellte ihre Arbeit verloren, die Minenarbeiter nun unabhängig arbeiteten. Das heißt jeder Arbeiter ist seither für sich selbst verantwortlich und verkauft das was er selbst zu Tage fördert, abzüglich eines bestimmten Prozentsatzes, den er an die Minengesellschaft zu entrichten hat. Diese Neuerung bedeutete einerseits eine starke Verbesserung der allgemeinen Arbeitslage, brachte andererseits aber auch seine Probleme mit sich. Insbesondere die Tatsache, dass die Arbeiter plötzlich ihre Arbeitsgeräte und andere Notwendigkeiten des Bergbaus selbst bersorgen mussten. Doch wo es Nachfrage gibt, dauert es meist nicht lange, bis es auch das entsprechende Angebot gibt. In Potosi kam dies in Form des "Mercado de los Mineros". Auf diesem "Markt der Minenarbeiter" fand und findet sich nach wie vor alles, was das Stollenherz höher schlägen lässt: Schaufeln, Pickel, Werkzeuge, Helme, Stahlschuhe, ..

Vor allem aber drei Dinge, die es hier zu erwerben gibt sind besonders erwähnenswert. Zum einen stehen in großen Tüten Unmengen von "Cocablättern" im Angebot. Dieselben Cocablätter, die andernorts zur Kokaingewinnung verwendet werden und in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, gelten hierzugegen als das Allheilmittel gegen Hunger, Müdigkeit, Kälte und gegen die Höhenkrankheit. Der Saft der zerkauten Cocablätter ist auch einzige was die Arbeiter den ganzen Tag über in den Minen zu sich nehmen - abgesehen von Getränken. Zu letzterem gehört vor allem der 93 prozentige Alkohol, der an den meisten Ständen ebenfalls zum Verkauf bzw. zum Verzehr angepriesen wird und damit das zweite Kuriosum meiner Aufzählung darstellt. Das dritte und gleichzeitig das absolut Unvorstellbarste ist jedoch das Dynamit. Ja, richtig gelesen: Auf Potosis Straßenmarkt kann man hochexplosiven Sprengstoff einkaufen - Dynamit, ganz legal und ohne Probleme. Stückpreis 3 Dollar.

Es kam, wie es kommen musste. Da wir regelrecht dazu aufgefordert wurden, den Minenarbeitern ein paar "Aufmerksamkeiten" mitzubringen schlenderte ich also über den Minenmarkt, und kaufte ein: 500 Gramm Cocablätter, eine Flasche puren Alkohol, Explosionsverstärker, Zündschnuren und zwei Stangen Dynamit! Verrückte Welt.



Dann ging die eigentliche Tour los und wir betraten mit Geschenken "bewaffnet" den Stollen des berüchtigten Cerro Rico. Die ersten 100 Meter konnte man noch einigermaßen aufrecht gehen, doch dann begann das große Krabbeln. Immer tiefer stiegen wir in die Mine ein und mit jedem Meter mussten wir uns kleiner machen, bis wir irgendwann nur noch am Boden entlang krochen. So viel zum spaßigen Teil der Veranstaltung. Unerträglich dagegen war die Luft, bzw. das was noch von ihr übrig war. Diese Staub- und Giftwolke war zum Schneiden dick und es war absolut unmöglich, sich ohne ausgedehnte und ergiebige Hustenanfälle durch den engen Raum zu bewegen. Einmal stach uns ein derart beißender und offensichtlich lebenszeitverkürzender Geruch in die Nase, dass es mich nicht überraschte, als der Guide uns verriet, dass es hier verdächtig nach Arsen roch und wir uns nun besser in einen Parallelstollen verkriechen sollten. Nachdem auch noch ein Teil der Decke direkt neben uns herunterbrach, war mir klar, dass der Zustand dieses Berkwerks sich in den vergangenen 500 Jahren nicht großartig verändert hatte. Das selbe galt für die Arbeitsbedingungen.

Die ersten beiden Minenarbeiter, die wir antrafen, waren 17 Jahre alt. Sie verrieten uns, dass sie schon seit drei Jahren hier arbeiteten, bis zu 13 Stunden täglich. Wie in Trance hämmerte unweit entfernt ein anderer "Minero" mühsam seine Metallstange in den Berg. Auf die Frage, ob ihm seine Arbeit gefallen würde, antwortete er mit einem entschiedenen "Nein. Aber es gibt keine andere Wahl." Wir schenkten ihm Cocablätter und eine Stange Dynamit und erkundeten weiter das riesige Minenlabyrinth. Nach 3 Stunden war es endlich geschafft. Ich hatte nicht nur die Nase sondern auch die Lunge voll von diesem Berg und war heilfroh wieder an der Erdoberfläche zu stehen. Selten hat frische Luft so gut geschmeckt wie hier.

Es ist absolut unbegreiflich, dass Menschen unter derartigen Bedingungen ihren Lebensunterhalt verdienen und dabei tagtäglich ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen müssen. Ich bin nachhaltig schockiert von dieser Erkenntnis und der festen Überzeugung, dass dies mit allen Mitteln verhindert und verboten gehört. Die Mineros selbst sehen dies etwas nüchterner und beschreiben ihren Arbeitsalltag so: "Wir essen die Mine, die Mine isst uns."


Fun Facts:
  • Potosí war jahrhundertelang ein Synonym für Reichtum. Im Spanischen gibt es immer noch die Redensart "vale un Potosí" für: „Es ist ein Vermögen wert.“
  • Der 'Mercado de los Mineros' gilt weltweit als der einzige öffentliche Markt, an dem man legal Dynamit kaufen kann.
  • Der spanische Versuch, schwarze Sklaven einzuführen, scheiterte an der sauerstoffarmen Höhenluft. Die meisten starben, bevor sie unter Tage eingesetzt wurden.

Checklist:
  • eine Stange Dynamit gesprengt,
  • Sprengstoff, Kokablätter und 93%igen Alkohol eingekauft
  • durch höchstgelegenste Stadt der Welt gebummelt