"Fünf Tage auf einem Segelboot durch die Karibik", das liest sich wie eine Anzeige in einem Magazin für Traumferien. Um es gleich vorweg zu nehmen: es sollten keine reine Traumferien werden.
Alles begann in Portobello. In unserer Abfahrtsbucht lagen eine ganze Reihe hübscher Boote, Yachten und Katamarane und in gespannter Erwartung fragten wir uns schon am Vortag, welches Boot es wohl sein würde, auf dem wir die nächsten Tage auf hoher See verbrächten.
Früh am nächsten Morgen holte uns Kapitän Carlos mit seinem kleinen Aussenborder Schlauchboot ab und schipperte im Slalom um all die zuvor gesehenen, hübschen Boote, bis wir schließlich an der "Melody" ankamen. Mit dem ersten Anblick kam die erste Ernüchterung. Das Schifflein war vergleichsweise klein und machte auch nicht den fortschrittlichsten aller denkbaren Eindrücke. Beim Betreten des Bootes war auf einen Blick klar: Das gibt ein Platzproblem! Zu unserer begeisterungsarmen Überraschung waren drei weitere Personen bereits an Bord: des Kapitäns mormonischer Steuermann und zwei kolumbianische Mädchen, die zuständig sein sollten für unser leibliches Wohl. Dazu kamen acht von uns - drei tätowierte australische Surfer, zwei neutrale Schweizer, ein ruhiger holländischer Angelfreund, eine krisenresistente Australierin, die seit 8 Jahren nicht mehr zuhause war und meine Wenigkeit. Zusammen mit dem Kapitän waren wir nun also zwölf Seelen an Bord eines 15 Meter langen Schiffchens, das bis obenhin vollgestopft war mit Lebensmitteln, Werkzeugen, zwei Motorrädern und allem möglichen anderen Gerümpel.
Es stellte sich heraus, dass Kapitän Marcos der Go-To-Guy ist in den Gewässern zwischen Panama City und Cartagena. Hier versorgt er regelmäßig die im San Blas Archipel ankernden Boote mit Fressalien und anderen nützlichen Dingen (z.B. DVD Player). Dafür verlangt er einen Aufpreis von respektablen 30%. Auf diese Weise verdient er, während der Backpackertrips, die für diese Versorgerei herhalten müssen, zusätzlich gutes Geld. Doch in seiner wortkargen "Ansprache" versicherte uns Marcos, dass der Räumungsverkauf gleich schon am nächsten Morgen stattfinden würde und es dann wieder genügend Platz an Bord gäbe. Danach klärte er uns über die geplante Marschroute auf: Die Anreise zu den San Blas Inseln solle einen Tag in Anspruch nehmen, der Aufenthalt im San Blas Archipel zwei weitere Tage und die Weiterreise auf hoher See nach Cartagena die letzten beiden Tage.
Dann folgten die drei heiligen Regeln:
1. Regel: "Wenn ihr die Toilette benützen müsst, verschließt immer und unter allen Umständen die Wasserventile, wenn ihr fertig sein - ansonsten wird es ein äußerst widerliches Unglück geben." Überhaupt waren wir Männer angehalten, zum Pinkeln gar nicht erst die ganz vorne im dunklen Bug versteckte Toilette aufzusuchen sondern statt dessen die Reling.
2. Regel: "Kein Mensch auf diesem Boot, außer mir rührt das GPS-Gerät an! Wenn wir das GPS-Gerät verlieren haben wir ein echtes Problem. Ist das verstanden?" Wir quittierten mit einem eingeschüchterten Nicken.
3. Regel: "Keiner fällt über Bord! Haltet Euch fest wenn ihr rumlauft. In den 10 Jahren, in denen ich diese Touren anbiete habe ich noch keinen einzigen Backpacker verloren. Das können nicht alle behaupten. Dies ist kein Spaß - haltet Euch fest! Wenn bei Dunkelheit jemand über Bord geht ist es nicht garantiert, dass wir ihn wieder finden - schon gar nicht bei dem Seegang, der zur Zeit herrscht. Klar?" Wir nickten noch eingeschüchterter.
Vor allem die letzte Regel räumte unsere letzten Zweifel beiseite bezüglich der Einnahme der kurzfristig besorgten Kotztabletten. Und noch bevor wir in See stachen, hatte jeder von uns Matrosen eine der Wunderpillen geschluckt. Dann ging es los! Der Anker gelichtet. Das Segel gehisst. Wir waren noch keine fünf Minuten unterwegs, da verstanden wir, warum es Regel Nr.3 gab. Die See war rauh und unsere kleine Walnussschale von einem Boot wurde zum Spielball der Wellen. Wäre einem von uns nach einem Bootspaziergang zumute gewesen, dann hätte er sich in der Tat stramm festhalten müssen, um nicht in Gefahr zu laufen über Bord zu gehen. Doch abgesehen von der "Todeszone Toilette", gab es zum einen gar keinen Platz wo man hätte hin laufen können und zum anderen waren wir alle ausreichend beschäftigt mit der Fixierung des Horizonts. Eine halbe Stunde später zeigten dann die Pillen ihre Wirkung. Ich will ehrlich nicht wissen, was in diese kleinen Reisefreunde alles reingemischt wurde. Schmerzmittel, Blutdrucksenker, Schlafmittel, Morphium, Halluzinogene - Gott weiß was in diesem Moment alles durch unsere Blutbahnen rauschte. Wir waren alle ohnmächtig und es folgten lange Stunden in Halbschlaf und Delirium.
Als ich endlich wieder meinen Blick scharf stellen konnte und langsam Leben in meinen Körper zurückkehrte dämmerte es bereits und wir waren nicht mehr weit entfernt von unserem Tagesziel. Bald munterten wir alle vollends auf und gerieten geradezu in eine gesteigerte Euphorie, als wir in der Ferne plötzlich die ersten Silhouetten kleiner einsamer Karibikinseln ausmachen konnten. Wir hatten nun das schützende Riff erreicht, die See wurde ruhiger. Bald würden wir da sein. Es war ein unbeschreiblich reiches Gefühl von Freiheit, als ich mich irgendwann ganz vorne auf die schaukelnde Reling setzte und mit einer lauen und salzigen Brise im Haar dem Funkeln und Flackern des sich im Wasser spiegelnden Vollmondes zuschaute - dem Karibiktraum entgegen.
Fun Facts:
- Die San Blas Inseln im karibischen Meer, bilden ein Archipel von mehr als 350 Inseln, die sich über knapp 180 Kilometer von Panama bis zur kolumbianischen Grenze erstrecken.
- Die Inseln sind zu etwa 10% besiedelt und werden von den Kuna Indianern bewohnt und autonom verwaltet.
Checklist:
- Kotztabletten gegessen
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